Suchthilfe-Studierende analysierten beim Deutschlandspiel am Freitag die Werbeeinblendungen für Alkohol und Glücksspiele. Alarmierend findet der Kölner Suchtpsychologe Prof. Dr. Ulrich Frischknecht von der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen (katho) die Dominanz und die Positionierung der Werbung im Spielverlauf. Er fordert wie Betroffene und Verbände ein Ende der Werbung für Alkohol und Sportwetten im Fußball.
Köln, 9. Juli 2024 – Anstatt auf der Fanmeile kamen die Studierenden des Master-Studiengangs Suchttherapie zum Deutschlandspiel am Freitagabend im Seminarraum der katho zusammen.
Gemeinsam analysierten sie eine oft übersehene Problematik bei Fußballübertragungen: Suchtmittelwerbung. Die Studierenden, die begleitend zu ihrem Studium in Einrichtungen der Suchthilfe bereits als Sozialarbeiter_innen tätig sind, dokumentierten im Fünf-Minuten-Takt die Werbeeinblendungen für Alkohol und Glücksspiele. Denn neben der Biermarke Bitburger ist auch der Sportwettenanbieter Betano offizieller Sponsor der Fußball-EM. In der Analyse zeigte sich, dass Alkoholwerbung in unmittelbarer Nähe zu den Spielpausen wie Halbzeitpause, Abpfiff der regulären Spielzeit, Halbzeit der Verlängerung und Gesamtabpfiff gezeigt wurde. Außerdem gab es ab der 20. Spielminute nur noch drei fünfminütige Zeitfenster, in denen kein Werbebanner für Glücksspiele eingeblendet wurde.
„Abhängige Menschen sind die besten Kunden“
Frischknecht, der gemeinsam mit Sebastian Müller (Leiter der Suchtambulanz der Caritas München und Oberbayern) die Auswertung begleitete, spricht angesichts der Ergebnisse von einem suchtpolitischen Versagen. Neben der massiven Alkohol-Werbung zeigten sich Müller und Frischknecht auch von der Häufigkeit der Glücksspiel-Werbung überrascht: Beide hätten weitaus mehr Alkoholwerbung und weniger Glücksspielwerbung erwartet. „Hieran zeigt sich, dass die Politik lieber Lobby-Interessen vertritt als das Wohl von Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen“, so das Fazit des Suchtforschers. Bereits seit Jahrzehnten wirke die Glücksspielindustrie in die Gesetzgebung hinein. Im Glücksspielstaatsvertrag steht, dass Glücksspiel zur Befriedigung des natürlichen Spieltriebs benötigt wird. „Natürlich hat der Mensch einen natürlichen Spieltrieb, aber Glücksspiele haben in diesem Zusammenhang nichts verloren“, findet Frischknecht. Denn anders als beim Fußball, bei dem man mit seinen Mitspieler_innen gegen andere Teams im Wettkampf stehen will, Erfolge feiern und Verluste in der Gemeinschaft verarbeiten will, entstünde durch Glücksspiele ein Abhängigkeitspotenzial – insbesondere durch von der Glücksspiel-Industrie „hochgezüchteten Spiele, die menschliche Bedürfnisse gesundheitsschädlich ausnutzen, denn abhängige Menschen sind die besten Kunden“.
Auf ihre Arbeit übertragen entwickelten die Studierenden im Anschluss an das Spiel die Idee, eine solche Analyse-Übung mit ihren Patient_innen durchzuführen. Damit könnte ihnen bewusster werden, an wie vielen Stellen sie von der Suchtmittelindustrie unbewusst beeinflusst werden. „Dies könnte Suchterkrankten auf ihrem Weg der Abstinenz helfen, wachsamer durch die Welt zu gehen und Schuldzuweisungen besser zu verarbeiten – denn dass Alkohol und Glücksspiele überall so angepriesen werden, ist nicht ihre Schuld“, fasst Frischknecht zusammen.
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